Rede zu Protokoll zur Menschenrechtslage in Mexiko

18.12.2014

Deutscher Bundestag - 76. Sitzung, Donnerstag, 18. Dezember 2014, ca. 21:30 Uhr

TOP 15

Zu a) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko
Drucksache 18/3552

Zu b) Antrag der Fraktion DIE LINKE.
Menschenrechte in Mexiko schützen, Freihandel und Militärkooperation stoppen
Drucksache 18/3548

Zu c) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sicherheitsabkommen brauchen Standards
Drucksache 18/3553

Rede zu Protokoll

Frank Schwabe (SPD):

Verehrte Präsidentin! Verehrte Damen und Herren!

bereits vor ein paar Wochen habe ich mich in meiner Funktion als menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und weiteren Abgeordneten mit Abel Barrera Hernández hier in Berlin getroffen.

Abel Barrera Hernández ist ein renommierter Menschen-rechtsaktivist der Organisation Tlachinollan im Bundesstaat Guerrero in Mexiko. Seit über 20 Jahren setzt er sich für die Rechte der extrem armen, marginalisierten, zumeist indigenen Bevölkerungsteile ein. Eigentlich Priester und Anthropologe fungiert er als ihr Anwalt – national sowie international. Seit Ende September ist er auch der Anwalt der Familien der 7 Toten und 42 verschwundenen Studenten aus Iguala.

In der Nacht vom 26. September auf den 27. September 2014 hatten ihre Söhne gemeinsam mit weiteren Studenten der Universität „Raúl Isidrio Burgos“ in Ayotzinapa drei Busse gekapert, um in ihnen nach Mexiko-Stadt zu fahren. Dort wollten sie in Gedenken an das Massaker von Tlateloco 1968 demonstrieren.

Wie wir alle wissen, sind diese drei Busse nie in der Hauptstadt angekommen.
Sie wurden von der Polizei Iguala unter Beschuss genommen. Drei Studierende kamen bei dieser Schießerei direkt vor Ort ums Leben. Der weitere Vorgang dieser Nacht ist nicht klar nachzuvollziehen, da verschiedene Quellen unterschiedliche Angaben machen. Vermutlich wurden die Studenten von der Polizei eingekesselt, abgeführt und an die kriminelle Bande „Guerreros Unidos“ (Vereinigte Kämpfer) die in Verbindung zum örtlichen Drogenkartell stehen, übergeben und von diesen ermordet. All dies soll auf Geheiß des örtlichen Bürgermeisters José Luis Abarca und seiner Frau geschehen sein, durch politische Funktionäre also, die enge Verbindungen zur Organisierten Kriminalität unterhalten haben sollen. Fakt ist: Seit dieser Nacht werden noch immer 42 Studenten vermisst. Nur das Schicksal eines der Vermissten ist bereits bekannt: Er wurde ermordet und verbrannt auf der Müllkippe von Cocula aufgefunden. Weiter 28 Leichen aus geheimen Massengräbern konnten nicht als die vermissten Studenten identifiziert werden.

Verehrte Damen und Herren,

die Angehörigen Familien der Opfer leben derzeit in der Escuela Normal in Ayotzinapa, dort, wo ihre Söhne lernten, betreut von Abel Barrera und seiner Organisation Tlachinollan. Sie haben noch Hoffnung, sie drängen auf Aufklärung.

Doch die Aufklärung verläuft schleppend und diffus. Nach Angaben der mexikanischen Regierung wurden zwar bislang 51 Menschen, die mit den Verbrechen in Verbindung stehen, festgenommen; die meisten davon sind Polizeibeamte aus den Gemeinden Iguala und Colcula. Auch der Bürgermeister Igualas und seine Frau sind mittlerweile festgenommen worden – nachdem sie fünf Wochen lang auf der Flucht waren. Von den vermissten Studenten fehlt jedoch auch fast 2 Monate nach dem Vorfall in jede Spur.

Am 7. November 2014 präsentierte der Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam darüber hinaus drei Geständige: junge Mitglieder der „Guerreros Unidos“, die zu Protokoll gaben, dass die Studenten von Kriminellen getötet und verbrannt worden seien. Die Staatsanwaltschaft hat hierfür jedoch noch immer keine Beweise vorgelegt.

Überwiegende Teile der mexikanischen Bevölkerung stellen sich daher die Frage: Warum sollten ausgerechnet diese Aussagen stimmen? Nach Ansicht von Abel Barrera wollen die Strafverfolger durch die Präsentation der Aussagen drei krimineller Jugendlicher die Aufmerksamkeit auf die Organisierte Kriminalität lenken - weit weg von den Polizeikräften und staatlichen Angestellten. Denn: Andere Zeugen schildern, dass die Polizeikräfte in die Ermordung verwickelt gewesen seien.

Verehrte Damen und Herren,

der Fall der 42 vermissten Studenten in Iguala illustriert einmal mehr auf schockierende Weise die Unterwanderung Teile der staatlichen Institutionen durch die Organisierte Kriminalität; die de-facto Allianz mit der Mafia auf allen Ebenen – lokal, föderal und leider zum Teil auch der bundesstaatlichen Ebene.
Er reiht sich ein in eine Serie von Gewalttaten, maßgeblich verübt durch Polizei- und Militärkräfte – gedeckt durch die Politik. Im Juni 2014 hatte die Polizei in der Ortschaft Tlatlaya im Bundestaat México 22 Jugendliche erschossen. Laut den involvierten Polizeibeamten handelte es sich um Kriminelle – laut Augenzeugenberichten um extralegale Tötungen. Auch der Bürgermeister Igualas, José Luis Abarca, war den Behörden einschlägig bekannt: ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2013 drei Oppositionelle gefoltert und getötet zu haben. Auch wussten die Behörden, dass seine Frau mit den „Guerreros Unidos“ in Verbindung stand, dass in Iguala viele Menschen hingerichtet wurden. Anzeichen dafür waren die vielen bekannten Massengräber in Iguala und Umgebung. Ermittelt wurde gegen sie nie. Auch die Bundesregierung hat sich in keinen dieser Fälle eingeschaltet.

Der Fall Iguala ist auch symptomatisch für die generell vernichtende Menschenrechtslage in Mexiko. Der seit dem Jahr 2006 herrschende „Guerra contra el Narco“, ausgerufen von Felipe Calderón, hat bislang zahlreiche zivile Opfer gefordert: die offiziellen Angaben liegen bei 70.000 Toten und 26.000 Verschwundenen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. Das undurchsichtige Geflecht aus korrupten Polizeibeamten, lokalen Politikern und der Mafia führt dazu, dass die Täter zumeist nie gefunden, geschweige denn zur Rechenschaft gezogen werden.

Die mexikanische Menschenrechtskommission meldete 2013 einen Anstieg der Anzeigen wegen Folter und Misshandlungen um 600 Prozent seit dem Jahr 2003. Mexiko ist Unterzeichnerstaat der internationalen UN-Konvention gegen Folter und hat die Konvention bereits 1985 ratifiziert. Im eigenen Land scheint unter den Behörden allerdings eine Toleranz gegenüber Folter zu herrschen: Insgesamt wurden bislang nur sieben Personen in Mexiko wegen Folter von Bundesgerichten verurteilt.

Auch im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist eine alarmierende Entwicklung zu beobachten. Mehrere mexikanische Bundesstaaten haben in diesem Jahr sogenannte Gesetze „zum Schutz der Menschenrechte und der legitimen Nutzung staatlicher Gewalt durch Einheiten der bundesstaatlichen Polizeieinheiten" erlassen. Sie regeln die Voraussetzungen für die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen sowie den Einsatz von Schusswaffen. Da bereits die Äußerung von Kampfparolen als Gewaltbereitschaft eingestuft werden kann, erleichtern sie de facto den Einsatz von Polizeigewalt und schränken so die Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Mexikaner extrem ein. Dies wurde auch bei den landesweiten Massenprotesten nach den Vorfällen in Iguala deutlich. Die Demonstranten werden kriminalisiert, laut Präsident Enrique Pena Nieto gefährden sie die Stabilität des Landes. Am 20. November wurden 11 Demonstranten willkürlich festgenommen. und in ein Hochsicherheitsgefängnis nach Veracruz, im Westen des Landes gebracht. Ihnen wurden Mord und Aufruhr vorgeworfen. Sie hatten keinen Kontakt zu ihren Familien, auch Anwälte wurden ihnen zunächst nicht gewährt. Nach Angaben von Rechtsbeiständen wiesen die Demonstranten im Gefängnis Spuren von Misshandlung auf.

Dem Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen und Gewalt steht das gleiche Ausmaß an Straflosigkeit gegenüber: Lediglich 2 Prozent aller Delikte werden letztendlich verurteilt. 90 Prozent der begangenen Verbrechen werden nicht juristisch verfolgt. Viele Urteile die ausgesprochen werden, sind Fehlurteile.

Verehrte Damen und Herren,

gemeinsam mit den Angehörigen der 42 Studenten, mit Abel Barrera Hernández, mit den tausenden Demonstranten, die seit Wochen immer wieder auf die Straße gehen und Recht und Gerechtigkeit fordern, sowie gemeinsam mit der EU und der UN, fordere ich, die grundlegende und transparente Aufklärung der Entführung der 43 Studenten aus Iguala. Es fehlen noch immer 42!

Langfristig muss die mexikanische Regierung jedoch nicht nur diesen Fall zu einem Abschluss bringen. Damit Fälle wie Iguala in Zukunft verhindert werden, muss sie vor allem die Korruption, die enge Verquickung zwischen staatlichen Einrichtungen und krimineller Strukturen sowie die weitverbreitete Straflosigkeit bekämpfen. Nur wenn dies gelingt, kann die Achtung und Verteidigung der Menschenrechte aller Mexikaner gewährleistet werden.

Solange dies noch nicht der Fall ist, sollte der Bundestag darauf drängen, dass einige bilaterale Übereinkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mexiko sowie multilaterale zwischen der EU und Mexiko auf den Prüfstand gestellt werden.

Darunter fällt beispielsweise das geplante deutsch-mexikanische Sicherheitsabkommen. In seiner jetzigen inhaltlichen Form wird es unter den derzeitigen Bedingungen kaum der „Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung“ – wie es im Vertragstext heißt - in Mexiko dienen.

Diese Überlegung betrifft auch die Neuaushandlungen des Globalabkommens zwischen der EU und Mexiko. In dem neuaufgelegten Vertragswerk sollte der Menschenrechtsklausel und vor allem auch ihrer Nichteinhaltung deutlich mehr Bedeutung beigemessen werden.

Verehrte Damen und Herren,

soweit zu den Forderungen, die sich aus unserer Perspektive leicht formulieren lassen. Wir dürfen allerdings nicht vergessen: Das Problem ist die Lösung des Problems, wie die mexikanische Zeitung La Jornada es ausdrückt. Die schwachen Institutionen, die Gebiete und Bundestaaten, wie beispielsweise Guerrero, in denen der Staat de facto nicht mehr existiert, nicht durchgreifen kann, die die jetzige Situation begünstigen, sind gleichzeitig hohe Hürden bei der Bekämpfung der Gewalt und Straflosigkeit, die der mexikanische Staat allein nicht bewältigen können wird.

Die Bundesrepublik Deutschland sowie die EU sollten daher nicht nur mahnen sondern, wo möglich, sinnvoll bei dem Aufbau von starken Institutionen unterstützen. Hier wäre zum Beispiel ein gut formuliertes Sicherheitsabkommen, in dem es nicht nur um technischen Austausch geht, eine Möglichkeit.

Auch sollten vielleicht die generellen Paradigma der Drogenpolitik – auch der EU und der Bundesrepublik Deutschland - überdacht werden. Denn Mexiko, Kolumbien und andere lateinamerikanische Staaten zeigen, dass die derzeitigen Prinzipien kaum erfolgreich sind.

Vor allem aber kann jede Einzelne und jeder Einzelne von uns helfen. Auch wenn der Staatsanwalt Murillo Karam sagt „Ya me cansé (Ich bin es Leid), die Menschen sind es trotz der widrigen Bedingungen noch nicht. Nicht nur in den letzten Wochen gehen die Leute als Reaktion auf die Vorfälle in Iguala auf die Straßen, seit Jahren kämpfen Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten wie Abel Barrera oder Anita Ancheita sowie zivilgesellschaftliche gegen die Regierung und staatliche Einrichtungen für die Rechte der mexikanischen Bevölkerung. Jeder von uns kann diesen Kampf unterstützen und durch das Programm des Bundestags „Parlamentarier schützen Parlamentarier“. Durch die Übernahme einer Patenschaft kann jeder von uns helfen, Menschenrechtsverteidigerinnen und –verteidiger vor Repressionen zu schützen und ihnen so den Rücken zu stärken.

Zeigen wir uns nicht nur kritisch, sondern auch solidarisch mit der mexikanischen Bevölkerung und helfen den mexikanischen Staat von unten zu stärken.

Vielen Dank!